Die geläuterte Katniss
Als Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) am Ende von Catching Fire die Arenakuppel zerstört, nimmt sie nicht nur die Fassade der 75. Hungerspiele auseinander, sondern reißt damit die Tür zur Revolution gegen das Kapitol und dessen Machthaber Präsident Snow (Donald Sutherland) auf. Und die gesamte Bevölkerung hat das Spektakel in der Live-Übertragung gesehen! Nach den Ereignissen aus Catching Fire wird Katniss in den todgeglaubten Distrikt 13 gebracht, wo sich die Menschen unter die Erdoberfläche verzogen haben. Dort rüsten sie sich unter Anführung der Distrikt-Präsidentin Alma Coin (Julianne Moore) für den Aufstand. Ex-Spielemacher und Überläufer Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) will Katniss nun zum Aushängeschild der Revolution machen. Der Propaganda-Kniff ist nötig, um den Menschen in den anderen Distrikten zu zeigen, dass es eine Chance gegen die Diktatur gibt. Allerdings lässt sich der Plan von Heavensbee nicht mit dem psychischen Zustand Katniss’ vereinbaren, denn schon durch die Eröffnungsszene wird klar: Die Protagonistin ist am Ende und nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die traumatischen Erlebnisse haben ihre Spuren hinterlassen und äußern sich in Form von wiederkehrenden Albträumen. Außerdem ist sie sauer auf die Revolutionsführer, die ihren Partner Peeta (Josh Hutcherson) zurückgelassen haben.Die Rolle der Vorzeige-Freiheitskämpferin ist ihr zuwider. Und schließlich willigt sie nur unter der Bedingung ein, alle überlebenden Tribute zu befreien. Das wiederum nehmen die Distrikt-Bewohner nur schlecht auf, da Peeta - vom Kapitol instrumentalisiert – mittels Fernsehauftritten gegen den Widerstand hetzt. Um das Feuer in der geläuterten Katniss erneut zu entfachen, wird sie in die zerstörten Distrikte geschickt, wo sie sich selbst ein Bild von der durch das Kapitol verursachten Zerstörung machen soll. Als Präsident Snow plötzlich den Abschussbefehl für ein Lazarett gibt, dessen Insassen sich mit der Revolutionsführerin solidarisieren, ist Katniss’ Feuer wieder da. In einer hitzigen Rede erklärt sie Snow den Krieg und die Distrikt-Bewohner gehen auf die Barrikaden.
Tiefe Einleitung
Anstatt Mockingjay Teil 1 künstlich mit Bombast vollzupacken, nimmt Regisseur Lawrence das Gas raus und setzt stattdessen getreu der ersten Buchhälfte politische Intrigen und das Propaganda-Wettrüsten zwischen Kapitol und Rebellion in den Mittelpunkt. Dreh- und Angelpunkt der Story wird deshalb mehr als noch in den Vorgängern Katniss. Kaum eine Szene vergeht ohne die Protagonistin – ein Umstand, den Jennifer Lawrence mit viel Feinsinn meistert und dadurch ihren Stand als eine der derzeit gefragtesten Schauspielerinnen untermauert. Wenn Katniss mal nicht die Alleinunterhalterin gibt, setzt die Handlung auf eine Reihe neuer Figuren. Beispielsweise die Präsidentin von Distrikt 13, Alma Coin, deren Figur eine erstaunliche Entwicklung durchmacht oder auch Spielmacher Plutarch Heavensbee, gespielt von Philip Seymour Hoffman, der zwar schon in Catching Fire an Bord war, sein Potenzial allerdings erst jetzt als entschlossener, doch ängstlicher Überläufer ausschöpft. Trotzdem hätte seine Drahtzieher-Figur noch weit dominanter ausfallen dürfen. Im Umkehrschluss bedeutet diese Neuausrichtung für liebgewonnene Nebendarsteller wie Elizabeth Banks (Effie), Woody Harrelson (Haymitch) oder Jena Malone (Johanna) natürlich weniger Screentime, was sich in Anbetracht der Buchvorlage wohl auch nicht anders lösen ließ.Francis Lawrence traut sich also was. Mit Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1 weicht der Regisseur von bewährten Blockbuster-Schemata ab und macht Mockingjay so zum erwachsensten, tiefgründigsten und düstersten Teil der Die Tribute von Panem-Reihe.