Aus Versehen umgebracht
Geralt ist anschließend zusammen mit Vasemir auf der Suche nach einer seiner Ex-Freundinnen und wir übernehmen aus der Third-Person-Ansicht. Als wir uns in den Straßen eines Dorfes bei den Einheimischen nach der mysteriösen Dame umhören, geraten wir an einen verzweifelten Schmied. Irgendein Besoffener hat gerade seine Hütte abgefackelt. Gegen ein Entgelt spüren wir den Trunkenbold auf und zerren ihn zum gelackmeierten Schmied. Womit wir nicht rechnen: dass unser Auftraggeber die Wachen ruft, die den Verbrecher dann am nächsten Baum hängen. Die Bezahlung stimmt, hinterlässt aber einen faden Beigeschmack.Dass der Spieler mit bestem Gewissen Entscheidungen trifft, die sodann im totalen Chaos münden, ist keine Seltenheit in The Witcher 3. Während die Vorgänger die Brisanz solcher Szenen noch mit hölzernen Animationen und teils unausgefeilten Konversationen entschärften, erlaubt sich The Witcher 3 kaum mehr Risse in der Inszenierung. Jedes Gespräch wirkt authentisch, jeder Charakter hat Beweggründe, eine Vorgeschichte und handelt menschlich. Nicht nach Schwarz/Weiß-Verhaltensmuster eines computergesteuerten Zeitgenossen. Beispiel: ein Nilfgaard-Kommandant, der eiskalt Mordbefehle erteilt, doch bei den armen Bauern ein Auge zudrückt. Ein Umstand, der Geralt nicht entgeht. Im Gespräch darf der Spieler deshalb den ein oder anderen zynischen Kommentar fallenlassen. Und zwar ohne, dass sein Gegenüber plötzlich die Klinge zückt und ihm nach dem Leben trachtet – wie es in anderen RPGs ja ganz gern mal vorkommt.
Frauenheld mit Duldung
Klar, nicht jedes Gespräch bringt die Handlung weiter, so mancher Plauderei entspringt zwar eine interessante Info, die Geralt für Quests nutzen kann, aber manche NPCs erfüllen lediglich den atmosphärischen Zweck eines unverbindlichen Schwätzchens. Zum aktuellen Zeitpunkt lässt sich natürlich nicht sagen, wie konsequent CD Projekt Red die Detailverliebtheit der Alltagsgeschichten durchzieht. Sicher ist Teil drei aber eine viel organischere, weniger klischeebehaftete Handlung als bei den Vorgängern. Geralt ist nicht der Held in schimmernder Rüstung, der auf seinem weißen Ross angeritten kommt und die Jungfrau abschleppt, sondern viel mehr – wenn überhaupt – geduldeter Durchreisender. Ein Typ, dem man besser nicht zu nahe kommt, weil er als Hexer in die Gedanken eindringt, um die Entscheidungen anderer zu beeinflussen.Seine Zauberfähigkeiten steuern natürlich nicht nur Gespräche, sondern verleihen auch den Kämpfen taktische Finesse. Was an den Gemetzeln gefällt: Die Schwertkämpfe fallen in The Witcher 3 weit realistischer aus als in den Vorgängern. Kämpft Geralt mit einer Gruppe von Widersachern, stellen diese sich nicht in einer Reihe auf und lassen sich nacheinander einen Kopf kürzer machen, sondern gehen im Kollektiv auf den Hexer los. Die Kämpfe laufen also meist nicht nach bestimmten Mustern ab, sondern arten oft in unberechenbare Scharmützel aus – was absolut positiv ist. Die Gegnerstärke passt sich außerdem nicht Geralts Level an, sondern bleibt gleich. Wenn der Protagonist also an einen überlegenen Feind gerät, ploppt der Game-over-Screen schneller auf als Geralt Igni (Feuer-Zauberspruch) sagen kann.
Noch was zur Technik: Die PC- und Xbox One-Versionen unterscheiden sich nur marginal voneinander. Klar, die PC-Fassung kommt mit Spielereien wie besserem Anti-Aliasing. Das erkennt man zwar, fällt in der Praxis aber kaum ins Gewicht, wovon wir uns während der Anspielsession überzeugen konnten. Dennoch: Die gespielte Fassung hatte noch mit einigen Glitches zu kämpfen. Dass CD Projekt Red die noch ausbessert – gut möglich. Das Game ist laut den Entwicklern nämlich schon seit Monaten fertig, aktuell drehen die Polen nur noch am Feintuning.