Aus 4000 Seiten Notizen, mehr als 200 Stunden an Audioaufzeichnungen und Musikaufnahmen, Zeichnungen und Skizzen fertigt der Regisseur eine filmische Collage an, die einen Blick auf Kurts Persönlichkeit erlaubt, an dessen Intimität bisher keine filmische Aufarbeitung herangereicht hat. Montage of Heck erzählt die Geschichte des Nirvana-Frontmannes in chronologischer Reihenfolge, startet mit exklusiven Kindheits- und Jugendaufnahmen und mündet in die Zeit mit Frau Courtney und Töchterchen Francis.
Kurts Gedanken als Animation
Dazwischen zeigt Morgen ein Potpourri an Aufnahmen: Alte Proberaum- und Konzertmitschnitte wechseln sich mit Szenen nicht nur physischer, sondern auch emotionaler Entblößung ab. Beispielsweise wenn sich Kurt und Courtney über reißerische Zeitungsartikel hinsichtlich ihrer Heroinsucht aufregen oder aus eifersüchtigen Fanbriefen rezitieren. Was nicht in visueller Form vorhanden war, ließ Morgen animieren. Künstler Hisko Hulsing, der auch Morgens Storyboard-Verantwortlicher ist, erweckt Tagebucheinträge und Skizzen durch Animationen zum Leben und stellt teils komplette Geschichten im Zeichentrick-Stil dar – was erstaunlich gut funktioniert. Die Plotlieferanten der Szenen sind Kurts Audioaufnahmen, die während der animierten Szenen aus dem Off zu hören sind. Kurt Cobain spricht hier eindringlich, fast schockierend direkt über die seine ersten Drogenerfahrungen, den ersten sexuellen Kontakt mit einem geistig zurückgebliebenen Mädchen und reflektiert das zerrüttete Verhältnis zu seinem Elternhaus. Alles Ereignisse, die zu seinem Außenseitertum beitrugen, bevor er schließlich im Punkrock gewissermaßen eine Heimat fand. Der kommerzielle Durchbruch Nirvanas besiegelte dann aber auch gleich wieder deren Niedergang. An dieser Stelle spann beispielsweise Nick Broomfield mit seiner Doku Kurt and Courtney die Verschwörungstheorie, Courtney hätte etwas mit dem Tod des Künstlers zu tun. Morgen hingegen lässt lieber die engsten Hinterbliebenen sprechen. Laut dem Regisseur sollten nur diejenigen zu Wort kommen, die auch auf Kurts Beerdigung um den Musiker getrauert hätten, wäre er kein Star gewesen.
Der erste Suizidversuch
So reflektieren Kurts Eltern Wendy und Donald sowie seine Schwester Kim, Exfreundin Tracy Marander und Nirvana-Gründungsmitglied Krist Novoselic über Cobains Persönlichkeit und ihr Verhältnis zu ihm – und natürlich auch Courtney Love, die im Gespräch einen neuen Blickwinkel auf die Hintergründe seines Suizids ins Spiel bringt. Laut Love könnte ein lediglich angedachter Seitensprung ihrerseits Kurts Minderwertigkeitskomplexe 1994 derart befeuert haben, dass er einen ersten, wenn auch erfolglosen Selbstmordversuch unternahm. Dave Grohl gehört in der Kinofassung übrigens nicht zu den Befragten. Laut Regisseur hatte dies zeitliche Gründe: Das Interview mit dem heutigen Foo Fighters-Fronter wurde schlicht zu spät geführt, als dass es Morgen im Schnitt hätte berücksichtigen können. Während man die Abwesenheit Grohls als Kinogänger gerade noch verschmerzen konnte, lässt sie Käufer von DVD oder Blu-ray aber wirklich sauer aufstoßen. Nicht mal im Bonusmaterial ist das Gespräch mit dem Nirvana-Drummer enthalten. Schade.
Aber auch ohne Grohl: Allein an der Tatsache, dass nicht mehr Musikerkollegen zu Wort kommen, lässt sich schon ausmachen, worauf Morgen mit seinem Film hinaus will: die Person Kurt Cobain so facettenreich zu porträtieren wie möglich – nicht Nirvana. Wer sich bisher nur wenig mit der Band beschäftigt hat, dürfte einige Schwierigkeiten haben, die Zusammenhänge zu verstehen, denn Morgen setzt einiges an Grundwissen voraus. Wer seine Hausaufgaben gemacht hat, erhält mit Montage of Heck den bisher intimsten Einblick in Kurt Cobains Leben – frei von jeglicher Ikonisierung.