Campino im Interview: Leichte Parolen verbessern nichts © Derk Hoberg

Komplettes Hosen-Konzert bei ROCKAVARIA 2018

Campino im Interview: Leichte Parolen verbessern nichts

Die Toten Hosen sind neben Iron Maiden Headliner des diesjährigen Rockavaria-Festivals (9. und 10. Juni auf dem Königsplatz in München) und werden ihr komplettes Set dort vor 22.000 Zuschauern spielen. Frontmann Campino beantwortete auf der Pressekonferenz die wichtigsten Fragen zum Festival und anderen Themen, die München und Deutschland bewegen. Derk Hoberg war für entertainweb dabei.
Campino, nach Euren zahlreichen Gigs hier in München, unter anderem auch bei Ex-Bayernspieler Jens Jeremies im Partykeller, und dem, was euch sonst noch mit der Stadt verbindet: Sind die Auftritte hier inzwischen fast so etwas wie Heimspiele für Die Toten Hosen?

Campino: Die Geschichte zwischen uns und München geht schon ziemlich lang, hatte Höhen und Tiefen, aber im Grunde passt das gut. Ich habe auch das Gefühl, dass ich spätestens nach meinem Auftritt auf dem Oktoberfest hier gut angenommen werde (lacht). Wir freuen uns sehr auf das Rockavaria-Wochenende im Juni, weil es zentral auf dem Königsplatz stattfindet. Das ist schon etwas anderes, als in einer Kongresshalle am Rande der Stadt aufzutreten. Wobei ich als Fan des FC Liverpool auch Befürchtungen hatte, dass ich schon vorher hierher ins Stadion kommen muss. Wenn wir mit den Toten Hosen hier spielen, ist es mir aber lieber. Da kann ich mich dann selbst richtig reinwerfen.

Du sprichst den FC Liverpool an. Vor einigen Jahren musstest du einige Konzerte mit Gipsbein bestreiten. Schuld war ein – nennen wir es „Zwischenfall“ – der der Liverpooler Final-Niederlage gegen Chelsea in der Champions League geschuldet war. Nun spielt Liverpool wieder erfolgreich, trifft im Viertelfinale auf Manchester City. Wie groß ist die Gefahr, dass du im Sommer wieder mit Gips auftreten musst?

Campino: Seit dem das beim letzten Mal passiert ist, habe ich zu Hause keine Mülleimer mehr, gegen die ich treten kann, nur noch Plastiktüten (lacht). Ich gehe aber davon aus, dass es erst im Finale zu einem erneuten Beinbruch käme. Spaß beiseite, ich werde schon auf mich aufpassen, das passiert mir nicht nochmal. Etwaige Verletzungen kann ich mir dann ja auch noch im nächsten Jahr holen, wenn Fortuna Düsseldorf hier in München in der Bundesliga spielt. Vielleicht gibt es dann ja Grund, sich zu ärgern.

Jetzt findet Rockavaria auf dem historischen Königsplatz statt, wo viele fordern, dass dort nur „würdevolle Musik“ gespielt werden solle. Eben solche, die dem historischen Flair des Platzes angemessen sei. Wann wird Rockmusik diesem Anspruch gerecht?

Campino: Also ich sehe da keinen Bruch (lacht). Aber im Ernst, es fällt mir jetzt schwer, das selbst einzuordnen. Über Musik kann man natürlich unterschiedlicher Auffassung sein, ich finde es aber schön, dass die Stadt München sich so geöffnet hat und für jeden Geschmack einen Moment gefunden hat. Im Übrigen würde ich mir auch gerne mal klassische Musik auf dem Königsplatz verpassen, das ist bestimmt eine tolle Atmosphäre.

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Campino freut sich auf den Sommer und auf Rockavaria (©Derk Hoberg)

Wie sieht es mit weiteren Lieblingsplätzen hier in München aus?

Campino: Die gibt es reichlich, alleine schon durch unsere Freundschaft zu Gerhard Polt und den Well-Brüdern kennen wir hier jede Menge Kneipen und Bars. Wir sind immer gerne in der Gegend um die Kammerspiele unterwegs, weil wir dort so viele schöne Sachen erlebt haben oder gehen gerne ins Schumann´s. Wir haben also unsere Anlaufpunkte zum gepflegten Versacken nach dem Auftritt.

Neben euch sind ja noch andere Bands bei Rockavaria am Start. Bekommt ihr das Festival-Feeling mit, schaut ihr euch auch andere Bands an?

Campino: Definitiv. Wenn es perfekt läuft, kommt man schon am Vortag seines Konzerts an, hat die Chance, die Atmosphäre auf dem Platz zu spüren. Diese Gelegenheit nutzen wir, wann immer es geht. Iron Maiden ist Kult, die wollen wir auch in München unbedingt sehen. Limp Bizkit kennen wir auch ganz gut und wir werden unsere Freunde von Therapy? treffen, mit denen wir früher aufgetreten sind. Natürlich bringe ich bei Festivals auch eine gewisse Neugier mit, es gibt ja auch Bands, die ich noch nicht gesehen habe und von denen ich wissen will, wie sie sich schlagen. Da sind wir noch immer zu sehr Musikfans, als dass wir da nur zu unserem Auftritt anreisen und uns danach direkt wieder vom Acker machen. Ich halte mich also so lange es geht bei Festivals auf. Auch, um selbst noch dazuzulernen und zu schauen, wie die anderen Bands mit dem Publikum umgehen.

Baut ihr euer Programm im Vergleich zu den Konzerten im Winter um?

Campino: Wir haben bereits bei den Winter-Shows unser Set von Tag zu Tag geändert, haben damals über 120 verschiedene Songs gespielt. Ich komme auch gerade frisch aus dem Proberaum. Wir nutzen also die Zeit, um die Sache spannend zu halten und die die Konzerte so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten.

Gibt es große atmosphärische Unterschiede zwischen eigenen Auftritten und jenen auf Festivals?

Campino: Auf Festivals hat man die Chance, sich Menschen zu präsentieren, bei denen man sonst nicht erste Wahl ist. Man kann also andere von sich überzeugen und hat zum anderen nicht die gesamte Verantwortung auf den eigenen Schultern, da ja noch andere Bands vor Ort sind. Dennoch bleibt es eine Roulette-Geschichte: Wenn es regnet muss man einen „Jetzt erst recht“-Geist entwickeln und das Publikum mitreißen und wenn das Wetter gut ist, dann ist ein Open Air meist eh nicht zu toppen. Dann kommt da kein Hallenkonzert ran.

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Auf Einladung von Veranstalter Global Concerts war Campino nach München gekommen (©Derk Hoberg)

Bei euren Konzerten geht ihr meist an eure körperlichen Grenzen. Wie regeneriert ihr zwischen den Auftritten?

Campino: Die Pause jetzt ist ja etwas länger. Die habe ich genutzt, um nach Asien zu fahren und auch, um Skifahren zu gehen. Jetzt konzentriere ich mich aber tatsächlich schon auf unsere beiden Konzerte in Peking und in Hong Kong und auf unsere Tour hier im Sommer. So schön die Atmosphäre bei unseren fast täglichen Konzerten um die Weihnachtszeit ist, haben die Auftritte im Sommer den Vorteil, dass sie meistens an den Wochenenden stattfinden und wir die Woche dazwischen zur Erholung haben. Dazu husten im Winter alle und sind krank. Da muss man schon sehr auf sich aufpassen. Das ist im Sommer deutlich entspannter, da kann man das „auf sich aufpassen“ auch mal vernachlässigen und Fünfe gerade sein lassen.

Du sprichst die Konzert-Reise nach China an. Eine Premiere, zu der es wie kam?

Campino: China stand immer mal im Raum und hat uns gereizt, weil wir noch nie da waren – wir geben jedem Land eine Chance (lacht). Bisher hat es aus verschiedenen Gründen aber nie gepasst und umso größer war die Überraschung, dass jetzt doch noch mal ein Angebot kam, auf einem Festival in Peking zu spielen. Das wird wieder mal ein Abenteuer, wir wissen ja selbst nicht, was uns dort und drei tage später in Hongkong erwartet. Außer dem Pferderennen nach dem Konzert dort – da haben wir uns schon angemeldet.

Gibt es sonst noch Länder, die auf eurer Wunschliste stehen?

Campino: Wir wollen möglichst viele Länder „erobern“, das war immer unser Prinzip. 90 Prozent der Länder die ich kenne, habe ich mit und durch die Band kennengelernt. Es ist macht auch einen Unterschied, ob man ein Land als reiner Tourist kennenlernt, oder ob man mit einem Instrument kommt und versucht, sich dort auszudrücken und dem Land auch etwas von sich mitgeben möchte. Oft hat man dann auch Bezugspersonen, die einen direkt an die richtigen Orte bringen. Ein großer Vorteil. So haben wir in Myanmar die Chance gehabt, die Punk-Szene im Untergrund kennenzulernen. Dort und in anderen Ländern wie Tadschikistan oder Usbekistan gibt es überall Punk-Bands, die es aufgrund ihrer Texte nicht einfach haben, von der Obrigkeit unterdrückt werden. Diese Möglichkeit zu haben, sich mit den Musikern auszutauschen, macht den Reiz bei solchen Reisen aus und deshalb hoffen wir, in noch mehr Ländern spielen zu können.

Inzwischen gehört leider auch die gestiegene Bedrohungslage durch den internationalen Terror zu Veranstaltungen wie Open Airs. Wie geht ihr als Band damit um?

Campino: Das ist ein Thema, das uns alle betrifft, die gesamte Gesellschaft. Die umfassenden Sicherheitschecks bei solchen Veranstaltungen dienen mindestens zur Hälfte auch zur Beruhigung der Leute, dass sie sich also sicher fühlen auf Konzerten. Das signalisiert: Man hat die Lage unter Kontrolle. Ich denke, wir haben das hierzulande auch ganz gut im Griff und lassen uns nicht zu sehr durch diese Nadelstiche zurückdrängen. Nichts anderes sind diese Angriffe auf solche Veranstaltungen. Wir wollen ja Public Viewing bei der WM, wir wollen ja Konzerte und Open Airs und brauchen auch solche gemeinsamen Erlebnisse, die wir miteinander teilen können. Solche Treffpunkte werden immer wichtiger, schließlich triften alle immer mehr ins Internet ab, sind für sich unterwegs. Deshalb bin ich als Bürger, als Fan wie auch als Musiker total dazu entschlossen, mit unserem Tun dazu beizutragen, dass wir das Unbehagen, das wir beim Besuch solcher Verantaltungen haben, wieder vollkommen abschütteln können.

Nun haben sich deshalb auch islamfeindliche Organisationen wie Pegida gefunden und gehen bis heute auf die Straße, wie in München am vergangenen Wochenende. Allerdings ging deren Kundgebung durch tausende friedliche Gegendemonstranten doch eher unter…

Campino: …das habe ich mir aber genauso von München erhofft, schließlich kamen aus dieser Stadt auch zu Anfang der Flüchtlingswelle die schönsten Bilder, die seit dem Mauerfall aus Deutschland rausgegangen sind. Ich meine damit die Hilfsbereitschaft zahlreicher Bürger gegenüber den ankommenden Geflüchteten am Hauptbahnhof. Bei all den Schwierigkeiten, die diese Situation natürlich mit sich brachte, bin ich froh, dass Städte wie eben München, Düsseldorf oder auch Köln diese Pegida-Versuche ganz gut abgewehrt haben, so dass sich diese Bewegung dort nicht festsetzen konnte. Es ist toll, dass eine entschlossene Mehrheit dasteht und einen Strich gegenüber dem fremdenfeindlichen Sumpf zieht. Etwas besorgter blicke ich da noch in den Osten, wo mehr Menschen davon überzeugt werden müssen, dass so leichte Parolen wie jene der Pegida die Sache hier nicht verbessern.

Mehr Infos zu Rockavaria gibt es direkt auf der Seite des Veranstalters Global Concerts und hier bei den Kollegen von urbanlife.de

campino Derk Hoberg
Derk Hoberg (re.) traf Campino auf dem Münchner Königsplatz
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