Aber die Königsdisziplin besteht in etwas anderem: in der Unaufdringlichkeit. Verständlich, dass die Designer wollen, dass der Spieler nachher auch alles von ihrem Baby sieht. Am besten funktionieren Open-World-Games aber immer dann, wenn einem das Spiel eben nicht nur eine offene Welt vorgaukelt und den Spieler dann doch in eine bestimmte Richtung drängt. Sondern wirklich völlige Freiheit bietet. Das erfordert Mut – und den beweisen die Entwickler der Arkane Studios mit Dishonored 2: Das Vermächtnis der Maske.
Eine Familie auf Mission
Als Ausgangssituation für ihr Action-Adventure wählen die Entwickler ein simples Setting: 15 Jahre nach dem ersten Dishonored übernimmt der Spieler wahlweise die Kontrolle über Corvo Attano – dem Protagonisten aus dem Erstling – oder seine Tochter Emily. Die ist nebenbei nach dem Putsch durch ihre Tante Delilah auch noch gestürzte Kaiserin. Egal, wen man wählt, das Ziel ist klar: den Thron zurückerobern. In Sachen Story macht die Entscheidung kaum einen Unterschied. In beiden Fällen muss man sich die Geschichte ein Stück weit erarbeiten, Textfetzen lesen und die Ereignisse in den Kontext setzen. Spielerisch macht die Wahl einen umso stärkeren Unterschied.Corvo spielt sich klassisch. Wie im Erstling beamt er sich von einem Ort zum nächsten, verlangsamt die Zeit und nutzt diese Features für seine Attacken. Emilys Skillset kommt fast noch etwas fieser daher. Nicht nur kann sie die Schicksale von bis zu vier Gegnern verknüpfen – wenn einer stirbt, geben auch die anderen drei den Löffel ab –, sie kann sich auch in eine Bestie verwandeln, die über den Boden kriecht und ihre Widersacher in Stücke reißt. Freilich bietet das Spiel auch wieder ein ganzes Arsenal an Waffen, von Schwertern über Pistolen bis hin zur Armbrust. Traditionell lässt einem Dishonored 2 aber die Wahl, auch ohne tödliche Waffen zu spielen. Oder man lässt die übernatürlichen Fähigkeiten einfach weg und schleicht nur. Oder man geht auf volle Konfrontation und lässt jeden über den Jordan gehen, der einem in die Quere kommt. Dishonored 2 funktioniert mit jeder Herangehensweise oder in Kombination mehrerer.
Abschlachten, vorbeischleichen und alles dazwischen
Trotz der vielen Möglichkeiten ist Dishonored 2 aber kein spielgewordener Spaziergang. An jeder Ecke können Delilahs Schergen lauern, was einem ein permanentes Spannungsgefühl mit auf den Weg durch Dunwall und die Hafenstadt Karnaca gibt. Und die Kämpfe haben’s selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad in sich. Die Gegner sind nicht die aller intelligentesten, greifen aber hart durch. Obacht: Wer keinem Scharmützel aus dem Weg geht, erhöht seinen Chaoswert. Heißt: Mehr Wachen patrouillieren in den Straßen, sehen euch schneller und NPCs sind euch oft feindlicher gesinnt. Außerdem verändert sich die Stadt sogar optisch und das Verhalten wirkt sich auf den Storyverlauf aus. Prinzipiell ist vom blanken Abschlachten bis hin zum flüsterleisen Durchschlawinern alles drin und beide Herangehensweisen haben ihre Vor- und Nachteile.Zumindest für Pazifisten empfiehlt sich statt Straßenkampf jedoch, Umwege über die Dächer zu nehmen, in fremde Wohnungen einzubrechen und so Feinden zu entgehen. Netter Nebeneffekt: So kriegt man auch öfter mal Schätze in die Finger. Etwa Runen und Knochenartefakte, mit denen sich Eigenschaften freischalten oder Skills verbessern lassen. Etwa, dass Corvo und Emily mehr Schüsse abkönnen, bevor sie das Zeitliche segnen. Kleiner Tipp: Nutzt die Schnellspeicherfunktion, da der letzte Rücksetzpunkt oft arg weit zurückliegt.
Der Hauptschauplatz Karnaca selbst ist übrigens weit lebendiger als Dunwall und bietet deutlich mehr Interaktionspunkte. Auch wenn immer wieder Ladepausen beim Vordringen in einen anderen Stadtbezirk anstehen, wirkt der überdimensionale Spielplatz doch wie ein zusammenhängender Schaupatz. Dass die Stadt so lebendig und atmosphärisch wirkt, liegt nicht zuletzt auch an den Straßengesprächen, die man an allen Ecken mitbekommt. Außerdem halten viele Passanten Nebenaufgaben parat. Und dank des schönen Artdesigns des Vorgängers ist das Ganze auch noch was fürs Auge, auch wenn das Game bei aller Liebe keine Grafikwucht geworden ist.