Interview Interview Bild: Drumming Monkey Records

Cryssis über Mordversuche und den Draht zu ihren Fans

Gerade präsentieren Cryssis ihr neues Album Kursaal Nights auf Deutschlands Bühnen. Wir haben Schlagzeuger Vom Ritchie (Die Toten Hosen) und Sänger und Gitarrist Dick York zum Gespräch getroffen.
entertainweb: Hallo ihr zwei, wie hat das mit Cryssis denn genau angefangen?

Vom: Dick und ich kennen uns seit 1980 und haben ungefähr zwei Jahre lang zusammengespielt. Nach einem Demo mit fünf Songs und nur wenigen Shows haben wir uns dann aus den Augen verloren. Seitdem schossen mir diese Songs immer wieder durch den Kopf und ließen mich die ganzen Jahre über nicht in Ruhe. Irgendwann habe ich mich dann auf meinem Dachboden durch 500 Kassetten gewühlt, um die alten Aufnahmen zu finden. Die Zweitletzte war’s dann (lacht). Als ich das Ding dann in meinen Walkman steckte, fiel mir das Ganze die Treppe runter und ging kaputt. Meine Frau hat es dann glücklicherweise repariert und ich konnte mir die Songs anhören. Da fasste ich den Entschluss, das Projekt wieder aufleben zu lassen.

Also habe ich diverse Leute in England angerufen, um Dick ausfindig zu machen und ihn dann gefragt, ob er Lust hätte, ein paar Songs aufzunehmen und Shows zu spielen – 28 Jahre später.

Dick: Als mich Vom angerufen hat, dachte ich noch, Die Toten Hosen wären irgendeine deutsche Pub-Band. Als ich dann kapiert hatte, wie groß sie wirklich sind, ist mir die Kinnlade runtergefallen. Jedenfalls haben wir dann begonnen, die Songs zu proben und festgestellt, dass sie sich auch heute noch richtig anfühlen. Viele von denen spielen wir ja auch live. Auch wenn unser damaliger Manager, der auch The Damned managte, das anders sehen mag.

Vom: Ich hab dann Thomas Schneider (Bass, Anm. d. Red.) angerufen, der dann wiederum Trip (Gitarre, Anm. d. Red.) mitgebracht hat. Es hat einfach funktioniert.


entertainweb: Wie fühlt sich das an, über 30 Jahre alte Songs live zu spielen – Gibt’s einen Unterschied zwischen alten und neuen Songs?


Vom: Nicht wirklich. Wir haben die Songs ja auch einer Frischzellenkultur unterzogen. Vor allem Trip hat großartige Harmonien ins Spiel gebracht. Zudem singt mittlerweile jeder von uns Vieren. Auf dem Album hört man den Songs nicht an, dass sie 30 Jahre auf dem Buckel haben.

Dick: Wir haben versucht, den Spaß, den wir an diesem Projekt haben, auf unseren Platten einzufangen. Denn darum geht es uns in erster Linie, um den Spaß, und darum, dem Alltag ein paar Wochen zu entkommen.


entertainweb: Wie nehmen die Leute die Songs auf?


Vom: Wir haben kürzlich in Österreich gespielt und die Leute sind komplett ausgeflippt. Wir spielen pro Tour auch ein paar Unplugged-Konzerte und manche mögen das tatsächlich lieber als die „normalen“ Shows.


entertainweb: Wie viele Unplugged-Shows pro Tour spielt ihr?  


Dick: Dieses Mal sind es drei, auf der letzten Tour haben wir die Hälfte der Termine unplugged gespielt. Wir versuchen so auch, das Publikum und die Promoter zu überraschen. Viele denken, Unplugged-Shows sind irgendwie langweilig. Nicht bei uns! In Leipzig hatten wir kürzlich sogar Crowdsurfer.


entertainweb: Inwiefern unterscheiden sich die Shows heute von den Shows in den 80ern?


Beide gleichzeitig: Die Leute mögen uns jetzt (allgemeines Gelächter).

Dick: Zumindest versucht jetzt niemand mehr, uns umzubringen. Wir haben irgendwann mal in einem Jugendzentrum gespielt und irgendein Typ ließ Abgase von seinem Auto in den Raum strömen.

Vom: Ich glaube, diese Abneigung lag auch an unserem Sound. Wir waren nicht Punk genug für die Punks, nicht Mod genug für die Mods und auch nicht Rock genug für die Rocker. Wir waren eben immer mehr eine Powerpop-Band, die alle möglichen Genres vermischt– wie’s uns gerade Spaß macht. Jeder Song steht für sich. Warum sollte man zwanghaft etwas verändern, nur um es in eine Schublade zu pressen?


entertainweb: Wie sieht ein typischer Cryssis-Tourtag aus?


Vom: Erst mal aufwachen und wie Scheiße fühlen. Dann Frühstück, rein in den Van, zum Hotel fahren und ein bisschen schlafen, dann zum Veranstaltungsort, Soundcheck…

Dick: Etwas Vodka Tonic, um richtig in den Tag zu starten.

Vom: Nein, nein, auf keinen Fall. Das kommt erst später (lacht).

Dick: Und dann natürlich den Gig spielen und anschließend mit den Leuten feiern.

Vom: Wir stehen nach dem Konzert immer am Merchandise-Stand, um uns mit den Leuten zu unterhalten und einfach eine gute Party zu feiern. Das funktioniert mit den Hosen halt nicht, einfach rauszugehen und mit den Leuten zu feiern. Es sind einfach zu viele.

Dick: Ich denke, das sind wir den Leuten auch schuldig. Wir haben eine sehr loyale Fanbase, die uns auf Tour folgen und bei nahezu jeder Show dabei sind. Mittlerweile haben wir auf Tour so einige gute Freunde gewonnen.


entertainweb: Machen Clubshows mehr Spaß als Stadien zu spielen?


Vom: Es ist einfach unterschiedlich. Wenn du 30.000 Leute durchdrehen siehst, ist das überwältigend. Wenn wir mit Cryssis auf Tour sind, ist jeden Tag ein Abenteuer. Zum Beispiel heute: Wir spielen in einem Musikladen, so etwas habe ich vorher noch nie gemacht.


entertainweb: Ihr habt ja auch ein paar Shows mit den Ärzten gespielt. Wie waren die Jungs?


Dick:
Die waren alle sehr nett zu uns. Großartige Menschen, die sich sehr gut um uns gekümmert haben. Ich hatte bis zu dem Zeitpunkt noch nie vor so vielen Leuten gespielt. Das war eine spannende Erfahrung für mich.

Vom:
Ich hatte am zweiten Tag der Tour Geburtstag und spielte auf Belas Schlagzeug „Schrei nach Liebe“, das war ziemlich cool.


entertainweb: Wie läuft der Songwriting-Prozess bei euch ab, speziell für die neue Platte?


Dick: Meistens komme ich mit einer Idee an, beispielsweise einer Melodie oder einem Refrain. Dann übernimmt die „Cryssis-Maschine“, jeder bringt seine Ideen und wir bauen den Song gemeinsam auf. Allerdings haben wir auch Lieder, die zur Hälfte von mir stammen, zur Hälfte von Vom.

Vom: Stimmt. Mich hatte irgendein Oldie aus dem Radio inspiriert und ich schrieb den Refrain, kam dann aber nicht mehr weiter. Dick hat dann die Strophen geschrieben und Trip hat das Ganze wiederum zusammengebastelt. Beispielsweise bei „Mr. Jack“ haben wir das so gemacht.


entertainweb: Welche Musik hört ihr privat?


Dick: Alles Mögliche. Wenn du Vom besuchst, wo die Drumming Monkey Bar ist, findest du dort Platten aus allen Genres, die du dir vorstellen kannst. Von Johnny Cash bis Johnny Rotten.
Vom: Dick und ich mögen Popsongs, eingängige Refrains und solche Sachen. Wobei wir nicht besonders auf Metal stehen. Vor allem den Metal mit minutenlangen Gitarrensoli. (Imitiert einen Metal-Sänger). Komischerweise stehe ich aber auf Ministry.


entertainweb: Habt ihr All-Time-Favorites?


Dick: Was wirklich immer geht, ist „So sorry“ von The Records. Ein sehr alter Song, der auf keinem Album ist, sondern eine B-Seite der „Hearts in her Eyes“-Platte. Außerdem Outlandos d’Amour von The Police und Setting Sons von The Jam.

Vom: Das ist eine sehr schwierige Frage für mich. Ich würde aber auf jeden Fall It’s Alive von den Ramones, Never Mind the Bollocks von den Sex Pistols, das erste Clash-Album, und das erste The Cramps-Album dazuzählen. Und auch The Boys, für die ich 12 Jahre oder so gespielt habe. Es sind einfach Sachen, die mich an eine bestimmte Zeit in meinem Leben erinnern.


entertainweb: Wie ist der Status Quo von Drumming Monkey Records?


Vom: Nächsten Monat veröffentlichen wir die neue Single von Meg’n Jez. Der Song wurde von Dicks Tochter geschrieben. Ansonsten haben wir gerade das neue T.V. Smith-Album veröffentlicht, auf dem ich Schlagzeug gespielt habe und natürlich die beiden Cryssis-Scheiben.
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